Gerade erst werden die Umrisse der ersten nachhaltigen sozioökonomischen Ordnung der vernetzten Welt sichtbar. Die Erfahrung, Teil eines Systems zu sein, dessen Intelligenz exponentiell zunimmt, führt bei Bukolikern zu tiefer Verunsicherung, bei den Anhängern des prometheischen Denkens hingegen zu regelrechter Begeisterung.
Unser an der geografischen Welt geschultes Urteilsvermögen und unsere Erfahrungen mit den autoritären Institutionen des zwanzigsten Jahrhunderts mögen uns zu der Annahme verleiten, dass sich grössere Systeme, an denen wir teilhaben, entweder zu einem unpersönlichen, bürokratischen Irrsinn entwickeln oder irgendwie zu etwas „Bösem“ mutieren, das uns unterdrücken wird.
Die erstgenannte apokalyptische Erwartungshaltung kommt in Filmen wie Idiocracy oder Wall-E zum Ausdruck. Sie zeigen einen zerstörten Planeten mit einer degenerierten Menschheit, die die Natur unwiederbringlich zerstört hat.
Die zweite Angst ist die, die sich im Konzept der Singularität zeigt. Befürchtet wird das Entstehen einer sich selbst verbessernden systemischen Intelligenz, die uns unterdrückt. Ein volkstümlich-naives Missverständnis dieses Konzepts, das auf digitalem Dualismus gründet, hat zu Filmen wie Terminator geführt. Dabei wird der in der geografischen Welt bestehende grundsätzliche Konflikt „Mensch gegen Natur” gedanklich ersetzt durch einen zukünftigen Mensch-gegen-Maschine-Konflikt . Im Ergebnis schrumpfen die Anhänger derartiger dualistischer Singularitäten, geradezu ironisch für extreme Techno-Fans, zu Wesen, die ängstlich die Ankunft einer gottgleichen Intelligenz herbeisehnen – in der Hoffnung, dass diese gutwillig sein wird.
Beide Angstvorstellungen sind nur wenig mehr als technologischer Obskurantismus. Sie werden befeuert durch eine Sehnsucht nach den behaglichen Gewissheiten der realen Welt, in der es klare Grenzen gibt, in der klare Identitäten und idealisierte Himmel und Höllen existieren.
Letztlich ist jedoch keine dieser Ängste von Bedeutung. Die vernetzte Welt verwischt die Unterscheidung zwischen Wohlstand und Abfall. Dies entkräftet die erste Befürchtung. Die Serendipität der vernetzten Welt ist geradezu angewiesen auf freie Menschen, Gedanken und Fähigkeiten, die auf unvorhersehbare Art und Weise miteinander kombiniert werden: „Skynet“ kann nicht intelligenter sein als die Menschen, solange die Menschen darin frei sind. Dies entkräftet die zweite Befürchtung.
Falls diese Befürchtungen überhaupt gerechtfertigt sind, spiegelt sich in ihnen eher der finale Entwicklungsverlauf der geografischen Welt wider—und weniger der frühe Verlauf der vernetzten Welt.
Eine Beobachtung von Arthur C. Clarke hilft, die zweite Befürchtung zu verstehen: Jede hinreichend hoch entwickelte Technologie lässt sich nicht von Magie unterscheiden. Die vernetzte Welt entwickelt sich durch Innovationen dermassen schnell, dass sie wie eine endlose Aneinanderreihung von Hexenwerken erscheint.
Clarkes Beobachtung hat andere zu ähnlichen Sprüchen inspiriert, die ebenfalls ein Schlaglicht auf unsere mögliche Zukunft werfen. So formulierte Bruce Sterling, dass jede hinreichend hoch entwickelte Zivilisation nicht von ihrem eigenen Müll unterscheidbar sei. Und der Zukunftsforscher Karl Schroeder1 erklärte, dass jede hinreichend hoch entwickelte Zivilisation nicht von der Natur unterscheidbar sei.
Dem lässt sich noch ein Diktum des zu Sozialen Medien forschenden Theoretikers Seb Paquet hinzufügen, welches die Moral unserer Mär der zwei Computer gut zusammenfasst: „Jede hinreichend hoch entwickelte Arbeit ist nicht von Spiel zu unterscheiden.“
Fügen wir diese Gedanken zusammen, dann wandeln wir in Richtung einer nicht-bukolischen Utopie. Und zwar auf einer asymptotischen Bahn, bei der die Realität allmählich wie Hexenwerk erscheint, Abfall zu Wohlstand wird, Technologie zu Natur und Arbeit zu Spiel mutiert.
Das ist eine Welt, die mit prometheischem Elan intelligenter wird und die Fesseln der Vergangenheit abwirft – wie frühreife Teenager, die der elterlichen Obhut entwachsen. In grossen Zügen skizziert dies genau das, was wir mit software eating the world meinen.
Für die Verfechter des prometheischen Denkens besteht die Herausforderung darin, auszuloten, wie man in einer derartig beschaffenen Welt agieren und leben kann. Zunehmend führt ein nicht an der geografischen Welt orientiertes duales Verständnis zu einer von der Netzkultur geprägten Sicht auf das menschliche Dasein. Wenn die vernetzte Welt ein weltumspannender, verteilter Computer ist, dann ist die Netzkultur dessen Betriebssystem.
Unsere Aufgabe ist mit der von Deep Thought vergleichbar, als dieser vor der Aufgabe stand, seinen eigenen Nachfolger zu konstruieren. Wir müssen ein Verständnis für die grundlegenden Betriebsparameter entwickeln, die für den neuen, planetaren Computer gelten, auf den wir zunehmend all unsere zivilisatorische Software samt Daten übertragen.
[1] Karl Schroeder, The Deepening Paradox, 2011.