Die Zemblanität der Container

Die Struktur folgt der Strategie, stellte Managementwissenschaftler Alfred Chandler in seiner Arbeit zu den Konzernen des frühen Industriezeitalters fest. Wenn eine zielorientierte Strategie Erfolg hat, verfestigt sich der temporäre Umriss des ursprünglichen Problems zu einer dauerhaften und kontrollierten Grenze der Organisation. Temporäre und spezifische Ansprüche auf gesellschaftliche Ressourcen werden zu unbefristeten und allgemeinen Eigentumsrechten für die Sieger bestimmter politischer, kultureller oder militärischer Kriege.

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Das Ergebnis sind Container mit auf ewig privilegierten Insidern und auf ewig ausgeschlossenen Outsidern: Organisationen der geographischen Welt. Diese Organisationen sind bereits ihrem Wesen nach das, was Daron Acemoglu und James Robinson als extraktive Institutionen bezeichnen. Sie dienen nicht nur dazu, ein bestimmtes Problem zu lösen und die erzielten Gewinne zu sichern, sondern sollen auf unbestimmte Zeit der Gesellschaft Wohlstand entziehen. Unabhängig von den Rahmenbedingungen sammeln sich Wohlstand, Harmonie und Ordnung idealerweise innerhalb der Grenzen des Siegers, während sich Abfall, soziale Kosten und Konflikte ausserhalb anhäufen und von den Verlierern der Ressourcenkonflikte bewältigt werden müssen.

Diese Beschreibung trifft nicht nur auf grosse Banken oder Konzerne des Kumpanei-Kapitalismus zu. Selbst Organisationen, die fraglos ein universelles Gut zu sein scheinen, wie beispielsweise die traditionelle Familie des Industriezeitalters, bringen gesellschaftliche Kosten mit sich. So benachteiligen beispielsweise in den Vereinigten Staaten Gesetze, die Anreize für Heirat und Wohneigentum bieten sollen, systematisch allein lebende Erwachsene und Familien, die nicht dem traditionellen Familienmodell entsprechen (und die zusammengenommen mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen). Selbst die von der Politik definierte und subventionierte traditionelle Familie ist also eine extraktive Institution.

Wenn extraktive Institutionen entstehen, wird es zunehmend schwieriger, zukünftige Probleme auf eine zielorientierte Weise zu lösen. Jede neue Bestrebung zur Problemlösung muss mit neuen festgefahrenen Grenzen umgehen. Zur Lösung neuer Probleme müssen immer teurere Konflikte in Kauf genommen werden, um in einem ersten Schritt Grenzen neu festzulegen. In den Industrienationen sind Energie, Gesundheitswesen und Bildung typische Bereiche, in denen die Problemlösung aufgrund eines Labyrinths von Vorschriften und anderen Begrenzungen nur im Schneckentempo vorwärts geht. Dies führt zu steigenden Kosten und einem Rückgang der Innovation, einem Zustand, der von dem Ökonomen William Baumol als „Kostenkrankheit“ bezeichnet wurde.

Die Kostenkrankheit ist ein Beispiel dafür, wie sich zielorientierte Problemlösungskulturen in ihrem Endzustand selbst erschöpfen. Ohne ergebnisoffene Innovation erscheint durch die wachsende Komplexität der Neuziehung von Grenzen die Lösung der meisten Probleme als unmöglich. Der planetarische Computer der geographischen Welt ist quasi ins Stocken geraten.

An der Schwelle zum ersten Internet-Boom war die Organisationslandschaft, die die geographische Welt definiert, bereits in enormen Schwierigkeiten. Um das Jahr 1992 herum schrieb Giles Deleuze:1

Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschliessungsmilieus, Gefängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule, Familie. … Eine Reform nach der anderen wird von den zuständigen Ministern für notwendig erklärt … Aber jeder weiss, dass diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben.

Diese „Krise aller Einschliessungsmilieus“ ist ein natürlicher Endzustand für die geographische Welt. Wenn jede gemeinsam genutzte gesellschaftliche Ressource von einigen als ewiges und unveräusserliches Recht beansprucht und hinter kontrollierten Grenzen gesichert wurde, kann nur etwas gewonnen werden, indem es anderen durch ideologiegetriebene Konflikte genommen wird.

Dies ist die Nullsummenlogik merkantilistischer ökonomischer Organisationen, die im 16 Jahrhundert entstanden ist. Da bei Konflikten in Abwesenheit ergebnisoffener Innovationen Werte verloren gehen, kann sie sogar schlechter als ein Nullsummenspiel sein. Entscheidungstheoretiker bezeichnen dies als Negativsumme – das beste Beispiel hierfür ist Krieg.

Im frühen 20. Jahrhundert hatte merkantilistische wirtschaftliche Logik dazu geführt, dass die Welt durch starre Rechte auf Land, Wasser, Luft, Mineralien und Wellenspektrum (das heute möglicherweise fast die höchste Relevanz hat) vollständig zerstückelt worden ist. Es geht um Rechte, die auch angesichts sich ändernder Gegebenheiten nicht einfach eingetauscht oder neu verhandelt werden können.

Wir neigen dazu, diese düstere Realität zu romantisieren. Die Etymologie von Wörtern wie Organisation und Körperschaft macht deutlich, dass wir unsere sozialen Container durch vermenschlichende Metaphern betrachten. Metaphorische und rechtliche Fiktionen von Identität, Persönlichkeit, Geburt und Tod dehnen wir weit über den Punkt des abnehmenden Grenznutzens aus. Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass das „Leben“ dieser Instanzen es wert ist, in die Unsterblichkeit ausgedehnt zu werden. Wir trauern sogar um sie, wenn sie gelegentlich unwiderruflich im Niedergang begriffen sind. Unternehmen wie Kodak und Radio Shack wecken beispielsweise in vielen Amerikanern so starke positive Erinnerungen, dass ihr Niedergang vielen wahrhaftig tragisch erscheint, obwohl die Geschäftsmodelle, die ursprünglich ihren Erfolg beflügelten, offensichtlich irrelevant geworden sind. Wir gehen davon aus, dass das Schicksal real lebender Menschen unwiderruflich an das Schicksal der künstlichen Organismen geknüpft sei, die sie bewohnen.

Tatsächlich besteht das „Ziel“ typischer Problemlösungsbemühungen im krisengeschüttelten Spätstadium der geographischen Welt häufig darin, irgend einen von Menschen geschaffenen Teil der Gesellschaft zu „retten“, ohne dass ein kritischer Gedanke darauf verschwendet wird, ob diese Rettung noch nötig ist oder ob durch Serendipität bereits bessere Alternativen entstehen. Wenn Innovation überhaupt als notwendiger Bestandteil der Lösung in Betracht gezogen wird, dann geht es dabei um aufrechterhaltende Innovationen, die dazu beitragen, die fragliche Organisation zu bewahren und zu vervollkommnen.

Egal ob es darum geht, die traditionelle Familie, ein erfolgloses Unternehmen, eine aussterbende Stadt oder eine ganze Gesellschaftsklasse wie die „amerikanische Mittelschicht“ zu „retten“ – der Gedanke, das Fortbestehen einer Organisation könne unnötig und ungerechtfertigt sein, wird als undenkbar zurückgewiesen. Der Fortbestand von Organisationen der geographischen Welt wird um seiner selbst willen wertgeschätzt, unabhängig davon, welcher Wandel sich in ihrem Umfeld vollzieht.

Die Schattenseite dieser anthropomorphischen Romantisierung kann als geographischer Dualismus bezeichnet werden: eine stabile planetenweite Trennung zwischen lokalen Utopiezonen für eine privilegierte Minderheit und Dystopiezonen für die Mehrheit, voneinander separiert durch streng bewachte Grenzen. Je grösser der geographische Dualismus, desto deutlicher wird die Spaltung zwischen Slums und Wolkenkratzern, Hausbesitzern und Wohnungsmietern, Industrie- und Entwicklungsländern, „guten“ und „schlechten“ Stadtteilen, Regionen mit Müllkippen und Regionen mit Mietpreisbindung. Dazu kommt die vielleicht eklatanteste Kluft: sichere Jobs in reglementierten Sektoren mit garantierten lebenslangen Vorteilen für eine Minderheit auf Kosten der unnötig verschärften Prekarisierung in einer sich schnell ändernden Welt für die anderen.

In einem sich wandelnden Umfeld wird es geradezu unmoralisch, die Stabilität von Organisationen als Wert an sich zu schätzen. Das Anstreben einer solchen Stabilität bedeutet, den Gewinnern historischer Konflikte zu gestatten, sich fixe Gewinne der Stabilität einzuverleiben und dabei den Verlierern steigende Anpassungskosten aufzubürden.

Im späten 18. Jahrhundert legten zwei zentrale Entwicklungen den Grundstein für eine neue Moral, die die industrielle Revolution entfachte. Neuer Wohlstand begann zu entstehen, und das trotz des extraktiven, nach Stabilität strebenden Wesens der geographischen Welt.

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[1] Giles Deleuze, Postscript on the Societies of ControlOctober, 1992.